Heinz Strunk: "Zauberberg 2"

Ein Beitrag von Dr. Petra Zaus

Obwohl Strunks Protagonist Jonas Heidbrink nach dem lukrativen Verkauf seines Start-ups sorgenfrei als Privatier leben könnte, geht es mit seiner psychischen Verfassung abwärts. Widerstrebend begibt sich der 36jährige in ein Sanatorium nahe der deutsch-polnischen Grenze, um seine Angstzustände und seine Isolation zu überwinden. Nach einem Jahr mit Musik-, Foto-, Biblio-, Tanz-, Bewegungs- und Gesprächstherapie lautet Heidbrinks Fazit „Therapie ist nichts anderes als die Korrektur von Erinnerungen.“ (S. 241) Gleichwohl dehnt er seinen Klinikaufenthalt über Gebühr aus: Ähnlich wie Hans Castorp, der seinen Vetter nur kurz besuchen wollte und letztlich sieben Jahre auf dem Zauberberg verbringt, bleibt Heidbrink, bis er durch die Schließung des insolventen Sanatoriums zum Aufbruch gezwungen wird. Beide Antihelden leiden unter Langeweile, dem Verlust des Zeitgefühls, Passivität und Beziehungslosigkeit und bieten dennoch Identifikationspotenzial.  Der titelgebende Begriff fällt hier nirgends, doch parallel angelegt sind skurril-überzeichnete Figuren wie Manns Hofrath Dr. Behrens und Strunks Professor von Rodenberg, Sanatoriums-Routinen wie das Fiebermessen im Davoser Lungensanatorium und die akribisch aufgezeichneten Vitalwerte in der Anklamer Heilanstalt sowie die Speisesaalszenen.

Die literarische Qualität von Strunks Zauberberg-Anverwandlung liegt weniger in den Übereinstimmungen und Abweichungen auf der Handlungsebene, sondern im originellen Schreibstil, der auch das Düster-Trostlose humorvoll zu nuancieren vermag. Der von Mann meisterlich gehandhabten Montagetechnik erweist Strunk im Kapitel „Kirgisenträume“ überdeutlich Reverenz, indem er Zitate aus „Der Zauberberg“ leicht abgewandelt mit eigenen Textpassagen verwebt. Er nutzt dieses Verfahren auch andernorts, wenn er diverse Textsorten (Popsongs, Volkslieder, medizinische Protokolle) in die Erzählung integriert. Für den Covertitel wurde die metallisch glänzende Typographie des Logos von Camerons Film „Terminator 2. Judgement Day“ übernommen, doch statt einer ‚Abrechnung‘ ist hier eine Hommage an das Werk beabsichtigt, das 2024 seinen 100. Geburtstag feierte. Wer sich nicht von Strunks mitunter drastischen Schilderungen unästhetischer Körperlichkeit abgestoßen fühlt, kann einen vielschichtigen Gegenwartsroman kennenlernen, den man wertschätzen kann, ohne Thomas Mann gelesen zu haben.

Heinz Strunk: Zauberberg 2. Hamburg: Rowohlt 2024.

Zitat aus Zauberberg 2: "Kennen Sie das ´, wenn man träumt und weiß, daß man träumt und zu erwachen sucht und nicht aufwachen kann? Genau so ist mir zumut."Ein Beitrag von: Dr. Petra Zaus. Sie leitet das Schreibzentrum/Writing Center am Zentrum für wissenschaftliche Bildung und Lehre (ZBL) der JMU. Daneben hält sie Seminare zur Neueren Deutschen Literaturgeschichte.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner