Ein Beitrag von Friederike Böhlert
Mir ist das Buch im wunderschönen, hellblauen Leineneinband am Leipziger Hauptbahnhof in die Hände gefallen. Die ersten Szene, die in einer Wohnung zwischen Plattenbauten in Helsinki im September spielt, lud mich direkt zum Kauf des Buches ein.
Der Roman beschreibt die Zustände der Protagonistin Adina vor und nach einem sexuellen Übergriff und behandelt einerseits die Auswirkungen des Traumes einer jungen Frau aus Tschechien, andererseits – und nicht weniger präsent – das Machtgefälle zwischen Ost- und Westeuropa.
Genießbar gemacht wird dieses Buch mit seinen schweren Themen durch die malerische Erzählweise. Szene um Szene wird aufgebaut. Die Autorin beschreibt kurze finnische Tage, Skipisten in Tschechien und nebelverhangenen Morgen an der Oder. Auch die Vogelbeerbäume und Peitschenlampen vor Adinas Fenster bleiben als Bilder zurück.
Die Leidensgeschichte der jungen Frau erschließt sich dem Leser Stück für Stück. Die nichtchronologische Erzählweise wird durchbrochen von Dialogen mit der titelgebenden blauen Frau. Der Leser muss die Erinnerungsschnipsel selbst wie bei einem Puzzle zusammenfügen – und was es mit der blauen Frau eigentlich auf sich hat, für sich herausfinden. Eine Herausforderung, durch die der Roman rückblickend jedoch viel Kraft bekommt. Das Wirrwarr im Leben der Frau spiegelt sich durch den bewusst chaotische Handlungsstrang. Wage und vorsichtig, manchmal sachlich wird von dem eigentlichen Übergriff erst im letzten Drittel berichtet. Erschüttert fühle ich die im Buch beschriebenen Dunkelstellen. Die Ungerechtigkeit von Adinas exemplarischem Einzelschicksal schwingt noch lange nach. Die blaue Frau ist kein hyggeliger Wohlfühlroman, dafür etwas zum Nachdenken und Austauschen.
Die deutsche Autorin Antje Rávik Strubel wird 2021 mit dem deutschen Buchpreis für ihren Roman „Blaue Frau“ ausgezeichnet.
Antje Rávik Strubel: Blaue Frau, S. Fischer Verlag 2021