Buchcover von „Das Gleichgewicht der Stille“ von Susann PineauEin Beitrag von Karel Kaiser

Über Lyrik in kurzer Prosa zu schreiben, birgt das Risiko, sowohl ihren Sprachkern als auch ihre fruchtbare Bilderfülle zu verfehlen. Daher kann es hier bestenfalls eine freundliche Einladung sein, sich eine lohnende Zeit der Ruhe zu gönnen, um Susann Pineaus berührende Poesie selbst aufmerksam zu lesen. Es ist ein großer Gewinn, über die 30 Gedichte in ihrem kürzlich erschienen, insgesamt schon vierten, liebevoll-schlicht gestalteten Bändchen zu sprechen und sich mit den reduzierten, reimlosen Versen ins „Gleichgewicht der Stille“ einzuschwingen.

Ein ganzer Kosmos, eine wie das Gedicht selbst immer schon gefährdete Welt, blüht in Pineaus écriture auf: Zwei Wintergedichte eröffnen den Reigen, Sommer- und Frühlingsbilder tanzen neben Planetarischem, Musik, Traum, Freundschaft, Natur- und Erdverbundenem. Die Bilderreise geht auch zu den mythischen Landschaften der „Causses“ in Südfrankreich, in deren geheimnisvoller Klarheit die Dichterin eine Wahlverwandtschaft erblickt. Und immer wieder wird das Schreiben von Gedichten, als Ausdruck einer Lebenshaltung, sich selbst zum Thema. Eigene formale Knappheit, Beschränkung aufs Wesentliche erkennt Pineau selbstreflexiv auch an anderen Dichtern, hier am Poeten und Kalligraphen Francois Cheng: immer kürzer / die zeilen, / geschliffener / das wort // ein fast nichts / auf der briefwaage, / das alles aufwiegt / im herzen.

"immer kürzer die zeilen, geschliffener das wort ein fast nichts auf der briefwaage, das alles aufwiegt im herzen." Aus „Das Gleichgewicht der Stille“ von Susann Pineau.Ein großartiges „fast nichts“ ist Pineaus dichterisches Wort angesichts der gelegentlich sich aufdrängenden Geschwätzigkeit der modernen Kommunikationstechniken. Ständige mobile „Erreichbarkeit“ ist keine Option fürs lyrische Ich, und wenn einmal aufdringlich gefragt, wo die Autorin zu finden sei: am besten / ich antworte nicht // sonst hörte ich mich sagen: / im gedicht.

Doch ist Pineaus Lyrik kein Elfenbeinturm der Innerlichkeit. Die Welt mit all ihren Schattierungen, Bedrohungen und Chancen findet in ihr Raum, freilich sprachlich kunstvoll gefiltert auf dem Prüfstand eines tief empfindenden, erfahrenen Herzens, das die Hälfte des Lebens überschritten hat. Elegisches im besten Sinne klingt dabei als Grundton an; Zukunft aber, poetische Lebensfülle, gekeltert in gedankenvollen Versen, liegt im Schoß dieser Dichtung.


Susann Pineau (2022): Das Gleichgewicht der Stille, Edition Toni Pongratz, Hauzenberg.

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