Foto von Buchcover "Die Gabe" von Naomi AldermanEin Beitrag von Ulrike Schäfer

Auf Naomi Aldermans Roman „Die Gabe“ bin ich vor zwei Jahren gestoßen. Der Ausgangspunkt: Weibliche Säuglinge werden ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der Fähigkeit geboren, elektrische Stromstöße abzugeben. Die „Gabe“ macht sich bemerkbar, sobald die Mädchen in die Pubertät kommen. 

Ein Mädchen in Nigeria verletzt versehentlich einen Jungen beim Knutschen. Eine Amerikanerin gibt bei einem Streit unabsichtlich Stromstöße ab. Die Tochter eines britischen Gangsterbosses tötet unverhofft den Mörder ihrer Mutter. Was als Einzelfälle erscheint, entpuppt sich als globales Phänomen. Und bei der anfänglichen Absichtslosigkeit bleibt es keineswegs.

Was wäre wenn? Naomi Alderman spielt das mit einer Gnadenlosigkeit durch, die mir den Atem verschlagen hat. Von privaten Beziehungen bis zu gesellschaftlichen Verhältnissen: Es gibt nichts, was unberührt bleibt.

Was wäre, wenn als Sexsklavinnen gehaltene Frauen ihre Gabe – im englischen Original „The Power“ – entdecken? Oder eine Präsidentengattin mit eigenen Ambitionen? Wenn eine amerikanische Waise, die am eigenen Leib erfahren hat, wozu Fundamentalreligion fähig ist, selbst eine neue Kirche errichtet? „Habt keine Angst. Wenn euer Glaube stark genug ist, wird Gott bei euch sein. Sie hat Himmel und Erde für uns umgestoßen.“

Die Gabe

Das sind nur einige der Szenarien, die miteinander verflochten sind. Noch zehn Jahre – noch neun – noch acht: Die Geschichte ist in einem Count Down getaktet, an dessen Ende man irgendwann nichts Gutes mehr zu hoffen wagt. Zugleich wird man immer wieder überrascht. 

Zwischendurch hatte ich das Gefühl, die realen Verhältnisse flackern wie in einem Spiegel auf, frappierend seitenverkehrt und dadurch umso deutlicher.

Kein Buch für schwache Nerven. Alderman geht dahin, wo es wehtut. Selten hatte ich so stark das Gefühl, dass eine Geschichte in der Luft lag und unbedingt geschrieben werden musste. „‚Die Gabe‘ ist schon jetzt ein Klassiker der Ideenliteratur“, schrieb der Guardian bei Erscheinen 2016. In meinem persönlichen Kanon hat es einen festen Platz.

 

Naomi Alderman: Die Gabe. Roman, Heyne 2018, 480 Seiten, 17,00 Euro.

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