Das Private ist das Politische! Eine Jugend im Vakuum-Zwischenland der Deutschen Wende. Stine, geboren in den 1980ern in einer Kleinstadt Mecklenburg-Vorpommerns, ist drei Jahre alt, als die Mauer fällt. Jahre später erinnert sie sich an den letzten Tag der Republik, an dem sie ihrer Mutter die falsche Frage „Leben wir in Deutschland?“ stellte, was diese streng korrigierte. Den mütterlichen Gewaltexzessen erst nach komplettem Beziehungsabbruch entkommen, gesteht sie sich, nun selbst Mutter, ein: „Meine Kindheit bleibt ein dunkler Traum, aus dem ich nicht aufwachen kann.“
Auf der nun folgenden Suche nach der eigenen und familiären Geschichte, begibt sich Stine auf eine Erinnerungsreise der Verstrickung und Verantwortung in einem Land der Verdrängung, der familiären wie strukturellen Gewalt. In fast lakonischer, sachlich berichtender Sprache, mal mehr Essay, mal mehr Dokumentation, öffnet Anne Rabe immer wieder bedrückende wie beeindruckende Bild-Parallelen zwischen privaten und politisch-strukturellen Gewalterfahrungen, von Stines Großvater, der als Kind der Nazizeit überzeugt das bessere Deutschland mitgestalten wollte, über die DDR-Tristesse bis in den Alltags-Rassismus und Rechtsterrorismus der ostdeutschen Nachwendezeit.
Die Möglichkeit von Glück zieht sich durch diese unsentimentale und unromantische Betrachtung der jüngsten deutschen Geschichte, in der zugleich die gnadenlose emotionale Vernachlässigung ganzer traumatisierter Generationen und die seelischen Folgen von Schweigen und Verdrängung sichtbar werden.
Über allen Kapiteln dieses besonderen Romans schwebt die Frage: „Wie viel Wahrheit verträgt ein Land? Eine Stadt oder Familie? Hält eine Freundschaft aus der Dunkelheit auch bei Licht?“
Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück. Klett Cotta Verlag Stuttgart 2023