Ein Beitrag von Daniel Osthoff
Ein merkwürdiger Titel, nach dem ich vermutlich nie gegriffen hätte, wenn mir nicht zum Einen Ingo Schulze schon mehrfach über den Weg gelaufen wäre und zum Anderen es sich in meiner Branche nicht in Windeseile verbreitet hätte, dass da die Hauptfigur ein Antiquar sei. Spannend also, dachte ich, zumindest für uns Antiquare. Das Bild des Antiquars, der ich eben auch bin, ist heute in einer breiten Öffentlichkeit geprägt vom Krimi Wilsberg aus Münster: ein etwas schrulliger älterer Herr, ein Privatdetektiv, der aber mit seinen alten Büchern kaum etwas verdient und auch kaum etwas mit ihnen zu tun hat. Wie schade und folkloristisch.
Ingo Schulze geht es nicht primär um die Darstellung einer Person in einem seltenen Berufsumfeld. Er schildert uns einen sicher auch etwas merkwürdigen Menschen in der DDR, in Dresden, seinen erstaunlichen Aufstieg vom zunächst jungen Mann zum Herrn der Bücher im Verborgenen, abseits des Einheitlichen der Volksbuchhandlungen und staatlichen Antiquariate im ersten Stock eines Wohnhauses ohne einen Hinweis auf seine Tätigkeit und zunehmend Anlaufstelle für kritische Intellektuelle und junge Neugierige (Schulze war selbst so einer). Eine konspirative Welt, die sich ihrer Herkunft versicherte oder sie neu entdeckte.
Und dann der Mauerfall: Eine Welt bricht zusammen, löst sich langsam aber stetig auf. Käufer aus dem Westen pilgern zu seinen Schätzen, kaufen seelenlos seine schönsten und besten Schätze weg, Bibliotheken landen an ihm vorbei auf dem Müll, die Menschen verändern sich, das Internet dominiert und damit die Marktwirtschaft über die Geisteswelt. Eine menschliche Tragödie für den Antiquar Norbert Paulini, den es unter anderem Namen tatsächlich gegeben hat. In seiner Verbitterung kann er nur noch ebenfalls Verbitterte um sich scharen und rutscht ab: Richtung Pegida.
Es wäre dies eine einfache Erzählung einer Ostbiographie und ein Erklärungsversuch für das Erstarken der Rechtsradikalen besonders in den östlichen Bundesländern. Aber Ingo Schulze wechselt im zweiten und dritten Teil die Perspektive auf die gleiche Geschichte und jetzt wird es erst wirklich interessant: der Roman wird zum Kriminalroman und gleichzeitig zum Künstlerroman. Es gibt keine einfachen Antworten mehr – jedenfalls nicht mit 300 Wörtern.