Petr Hruška stammt aus der Bergarbeiterstadt Ostrava und scheint seine Gedichte nicht zu schreiben, sondern zu meißeln, so lange zu meißeln, bis er jedes überflüssige Wort aus dem Sprachgestein entfernt hat. Ebensogut könnte man sagen, er bewahrt Augenblicke in Sprache auf, als wolle er sie wie Insekten in Bernstein für die nächsten Millionen Jahre konservieren. Doch auch mit dieser Aussage wird man ihm nicht ganz gerecht, denn aus der Gefangenschaft des Augenblicks führt bei ihm stets ein Weg in andere Sphären.
Mich fasziniert, wie Hruška aus der Verstelltheit des Alltags unversehens in andere Welten blickt – manchmal nahe, unbeachtete Parallelwelten, manchmal unendlich weit entfernte, wie im Gedicht vom Kinderschuh, dessen Sohle geklebt werden muß:
… / wir beide gebeugt / über dem verdreckten nassen Schuh. / Rauhen die Gummisohle auf / und lassen im Riß die Chemie wirken. / Begreif doch, / auch unsere Körper sind aus Sauerstoff und Kohlenstoff / uralter Sterne. / Ferner, vereinsamter Sterne. / …
Man geht mit den Gedichten von Petr Hruška anders durchs Leben. Denn jetzt weiß man es ganz gewiß: Jeder Tag enthält mindestens einen Augenblick, der es wert ist, festgehalten und verwandelt zu werden.
Ich lese selten Lyrik und besuche noch seltener Lesungen. Doch „Irgendwohin nach Haus“ hat mich dazu gebracht, an einem trüben Dezemberwochenende nach Pilsen zu fahren, um Petr Hruška auf einer Lesung im DEPO2015 zu erleben. Der Mensch, den ich kennenlernte, ist so fein geschnitzt, als wäre er einem seiner eigenen Gedichte entsprungen. Ein Mann Ende fünfzig, der neugierig und weise in die Welt blickt und dabei zu überlegen scheint, wie der Teil des Lebens, der soeben an ihm vorüberzieht, in ein neues Gedicht gefaßt werden könnte.
Petr Hruška: Irgendwohin nach Haus, edition AZUR, zweisprachige Ausgabe Deutsch/Tschechisch, Dresden 2019.