Foto von Buch „Serpentinen“ von Bov BjergEin Beitrag von Katinka Valerie

Ich bin vielleicht der größte Fan des Bachmannpreises. Drei Tage im Juni, an denen Texte vorgelesen und von Literaturkritikern diskutiert werden und das alles live oder on demand im internet – Luxus pur. 2018 hat Bov Bjerg das verstörende erste Kapitel seines Romans Serpentinen dort vorgestellt: Ein Vater reist mit seinem Sohn durch die schwäbische Alb, kreist um seine Vergangenheit und den tödlichen Familienfluch, dem er entkommen will. Die Sprache folgt lyrisch den Serpentinen, auf denen sich die beiden Reisenden bewegen. „Um was geht es?“ lautet die repetitive Frage des Sohnes, die nicht nur den Vater sondern auch Leser*innen antreibt und damit Stück für Stück die Vergangenheit des Protagonisten aufzeigt.

Dabei ist der Protagonist einst aufgebrochen um die Heimat und die sozialen Schicht hinter sich zu lassen, ist nach Berlin gezogen, wurde Professor für Soziologie. Doch er erkennt, dass sich sein Aufstieg nicht als Pflaster über die zerrüttete Seele legen lässt.

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„Ich war jetzt Professor, und es hatte sich nichts verändert. Die Welt hatte sich nicht verändert, ich hatte mich nicht verändert, nichts.“

Dialoge, Erinnerungen, Gedankenfetzen und Erzählpassagen bilden einen eigenen Rhythmus aus Trauer, Melancholie und Depression. Mich hat vor allem begeistert, dass Bov Bjerg die Geschichte eines sozialen Aufsteigers erzählt, aufgewachsen in der schwäbischen Provinz, beschwert mit dem Gefühl, überall und immer fremd zu sein, während sich bis dahin scheinbar nur die französische autofiktionale Literatur mit Didier Eribon und Édouard Louis diesem Thema angenommen hatten. Spannend an dem Roman finde ich auch die Auseinandersetzung über das Vater- und Mann-Sein und wie deutsche Geschichte verwoben wurde. Mein Tipp für den Juni ist deshalb: Bachmannpreis anschauen und mit Bov Bjerg den Tag beschließen.


Bob Bjerg: Serpentinen. Roman, Ullstein Taschenbuch Verlag, 2021, 2. Auflage, 272 Seiten.

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