Foto von Buch "Sisi" von Karen DuveEin Beitrag von Krystyna Kuhn

Das letzte Buch, das ich gelesen habe, war Sisi von Karen Duve. Ich habe es mir auf dem Nürnberger Bahnhof gekauft – oder war es in Frankfurt, in Bamberg oder in Würzburg? Es spielt keine Rolle, denn es gibt Bücher, die muss ich einfach lesen. Weil ich dem Autor/der Autorin vertraue oder das Thema übt eine große Faszination auf mich aus. Beides trifft auf Karen Duves Roman „Sisi“ zu. Er ist im September 2022 bei Galiani Berlin erschienen. Ich habe das Buch gelesen, weil Sisi sich bis jetzt jeder Erkenntnis entzog und Karen Duves Romane immer Erkenntnisgewinn versprechen. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Autorin wagt erst gar nicht den Versuch, das ganz große Geheimnis um Kaiserin Elisabeth zu enthüllen, sondern sie greift eine kurze Zeit aus ihrem Leben heraus und schildert diese in einer distanzierten, oft ironischen Weise.

Sisi – das weiß jeder – ist der Mythos einer Frau, hin- und hergerissen zwischen der Erfüllung ihrer Pflichten und einem manischen Wunsch nach Freiheit. Auch im Roman von Karen Duve bricht Sisi immer wieder aus der streng reglementierten Welt am Wiener Hof mit seinen steifen Konventionen und langweiligen Empfängen aus. Sie unternimmt lange Reisen – nach England und zu ihrem ungarischen Schloss Gödöllö. Dort geht sie ihrer größten Leidenschaft nach – Pferde und Reitjagden. In dieser Zeit lädt Sisi außerdem ihre Nichte Marie Wallersee zu sich ein, die Tochter ihres Bruders. Sie gilt nicht als standesgemäß, weil sie die Tochter einer Schauspielerin ist. Das alles klingt vertraut, kennt man aus den Filmen, doch im Roman erliegt Marie schließlich gänzlich dem Charme der Tante, die sich als Kaiserin der Manipulation entpuppt.

„Die Angst ist das beste an einer Jagd." Aus „Sisi" von Karen Duve, Seite 23.

Die Erkenntnis für mich nach der Lektüre: Was Sisi für sich selbst fordert, gesteht sie anderen nicht zu. Die ersehnte Freiheit gilt nur für sie. Sie rebelliert gegen die höfischen Konventionen und fordert deren Einhaltung von anderen. Geschildert wird ihre exzessive Liebe zu Pferden – doch nahestehenden Menschen gegenüber zeigt sich die Kaiserin hart und unerbittlich. So dekonstruiert Karen Duve die Kaiserin als Persönlichkeit, die ihre Macht und ihr Charisma missbraucht. Sie hat den Wiener Hof, gegen den sie immer wieder aufbegehrt, im Grunde eben doch verinnerlicht.

Karen Duve arbeitet diese Ambivalenzen überzeugend heraus. Sisi bleibt im Roman nicht das Opfer, sondern erweist sich als Meisterin der Kontrolle – gerade Menschen gegenüber, die sie schon fast abgöttisch lieben und die von ihr abhängig sind. Sisi benutzt diese Bewunderung, um Schicksale zu lenken. Als Leserin bin ich fasziniert, wie jemand, der sich ständig zum Opfer stilisiert, andere gleichzeitig dominiert.

Karen Duve hat das alles außerordentlich akribisch recherchiert und sich Erinnerungen von Zeitzeugen zu eigen gemacht, sodass die fiktive Handlung völlig authentisch wirkt. So kann es gewesen sein, denke ich und schließlich, so muss es gewesen sein. Die Autorin lüftet mit ihrem Roman „Sisi“ nur kurz den Schleier und wir erhaschen einen flüchtigen Blick auf eine Kaiserin, die am Ende ihres Lebens nur noch verschleiert in der Öffentlichkeit zu sehen war. Duve gelingt es auf wunderbare Weise, die Kaiserin zu demontieren, ohne den Mythos Sisi zu zerstören.


Karen Duve: Sisi, Galiani Berlin 2022, 26,00 Euro.

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