"Sommer am See" von Alberto Vigevani

Ein Beitrag von Daniel Seger

Die Erzählung „Sommer am See“ von Alberto Vigevani habe ich in Freiburg im Breisgau in einer Buchhandlung erstanden, in der Bücher präsentiert wurden wie Schmuckstücke beim Juwelier. Es war ein heißer Sommertag. Gelesen habe ich das Buch dann auf der Aussichtsgalerie des Münsterturms, mit Blick in die Weite. Vogesen in Sicht und die Alpen. Alles in sommerlichem Licht. In der Erzählung blickt der kleine Giacomo oft aus dem Fenster des elterlichen Hauses in Mailand und fühlt sich einsam, allein und von den Geschwistern ausgeschlossen. Keine Weite – nicht in sich drin, nicht beim Blick nach Draußen. Dann der Sommerurlaub, die Villa am Comer See, die Weite des Wassers, das glitzert wie ein Schmuckstück beim Juwelier, dann die Frau im Schwimmbad, an die sich Giacomos Blicke heften und die sich ihm präsentiert als „beinahe fein gesponnene, elegante Zeichen, rings um eine große Kristallschale angeordnet, ein Gespinst aus fliehenden Bildern der Schönheit, deren Erfassen lange in ihm fortdauerte, als würde er in der Einsamkeit am Ende nichts anderes in sich vorfinden.“ Der Urlaub in Menaggio wird Giacomo verändern. Aber Alberto Vigevani erzählt diese Veränderung nicht als Erweckungsgeschichte zum Begehren und zum Mannsein, sondern als Innewerden eines Vibrierens, „aus dem, schon milde geworden, der Schmerz“ entsteht. Zurück in Mailand ist die Kindheit vorbei und bleibt zurück: eingefasst in einen Sommer, der in der Erinnerung stets aufs Neue da sein kann. Immer wenn ich „Sommer am See“ lese, ist der Sommer wieder da, ist Freiburg wieder da, ist die Frau im Schwimmbad wieder da und der Schmerz des Abschieds: vom Sommer, dem Glitzern des Wassers im Sonnenlicht, von der Weite. Was diese Erzählung für mich so ungeheuerlich macht, ist, mit Ernst Bloch gesagt, dass für mich durch sie etwas in der Welt entsteht, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“.

Alberto Vigevani: Sommer am See. Eine Erzählung. Friedenauer Presse Berlin 2007.

Zitat aus Alberto Vigevanis "Sommer am See": „…er begegnete ihrem Lächeln: einem unverhofften und doch bebenden Licht, das ihn blendete und ihn daran hinderte, sofort ihre Worte zu hören.“Ein Beitrag von Daniel Seger: Daniel Seger hat in Tübingen studiert, an der Universität gearbeitet und war dann viele Jahre für Walter und Inge Jens tätig. Heute ist er der Geschäftsführer des Verlages Königshausen & Neumann in Würzburg.

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