Wie ein Buch rezensieren, das von Dialektik und Poesie gleichermaßen erzählt? Das uns in die Zeit der Napoleonischen Kriege und in die Premiere von Schillers „Wallenstein“ geleitet? Ein Buch, das Dichterfürsten vom Sockel hebt und mit großen Geistern per Du ist? – Es selbst zeigt einen Weg auf: Das Fragment, die notwendig bruchstückhafte Erkundung der Wahrheit, wie sie zwei der Hauptfiguren, die Gebrüder Schlegel, in ihren Schriften unternahmen. Mehr als ein Fragment kann dies nicht sein.
Peter Neumann zeichnet in diesem erzählenden Sachbuch ein lebendiges Bild der Umbrüche, die sich um 1800 in Europa ereigneten und bis hinein in die kleinen Städte Weimar und Jena reichten. Wer sich an trockenen Geschichtsunterricht erinnert fürchtet, sei beruhigt: Nicht Staatsmänner und Militärstrategen, sondern eine Handvoll Dichter und Philosophen begleiten wir auf ihren Wegen. Fritz und Wilhelm Schlegel, Dorothea und Caroline Schlegel, Schiller und Goethe, Fichte und Schelling – sie alle wirkten in und um Jena, schrieben dort zeitlose Gedichte, erdachten philosophische Systeme oder stritten über die Zukunft Europas. Dass es bei so viel geballtem Geist nicht immer harmonisch zugehen kann, insbesondere wenn man unter einem Dach wohnt, dürfte nicht überraschen.
Neumann lässt jenseits aller Hagiographie die Persönlichkeiten hinter den großen Namen sichtbar werden, beleuchtet ihre Konflikte und Marotten ebenso wie ihre Werke. Seine leichte und frische Prosa ist gut bekömmlich, einzig die häufigen Zeitsprünge erschweren mitunter die Verdauung. Glücklicherweise lindert eine Zeittafel im Anhang die Beschwerden.
Die Lektüre war mir eine Reise in eine zerrüttete Zeit, da Freiheit eine lebendige Idee und mehr als eine Floskel war, da der Wert der Natur entdeckt wurde und die Kunst als höchste Tätigkeit galt. Der blauen Blume gleich, hat dieses Buch die Sehnsucht mir erweckt.
Peter Neumann: Sternstunden. Jena 1800 und der Aufbruch in die Moderne, Pantheon Verlag.